» veröffentlicht in der „Laterne“ Nr. 02/2010
Markus Gruner
Der Myhos Hengest und Horsa
oder
die Geschichte einer Landnahme
Was prägt unser Bild von der so genannten Völkerwanderungszeit? Sind es Hollywoods fantasieträchtige „Historienfilme“, in denen sich „Römer“ im Lederkürass und pseudokaiserzeitlichen Ausrüstung gegen Fell behängte und möglichst noch Keulen schwingende Barbaren zur Wehr setzen? Oder sind es die bemühten, deutschen Dokumentationen einiger renommierter Fernsehsender, die aber leider auch nicht über das Niveau Gesichts bemalter „Goten“ mit auf den Rücken geschnallter Antennenknaufschwerter hinaus ragen? Selbst neuere, ins Ausland verlegte Produktionen treiben den engagierten Reenactor entweder die Wände hoch oder ihm die Zornesröte ins Gesicht. Besonders ärgerlich ist hierbei, dass renommierte Archäologen und Historiker nicht davor zurückschrecken, diesen Machwerken auch noch durch ihre Mitwirkung den Anschein von Seriosität zu geben.
Mehr als diese armseligen Unterhaltungs- und Bildungsversuche sind es die abstrakten Darstellungen in Schulbüchern und Fachzeitschriften, die einen Eindruck von den historischen Zuständen zwischen Antike und frühem Mittelalter veranschaulichen möchten. Den meisten oberflächlichen Betrachtern der Szenerie ist damit der Wissensdurst gestillt und die gesamte Völkerwanderung abgeschlossen. Wer sich damit nicht zufrieden gibt, wird feststellen, dass das Bild in tausend kleine Puzzleteile zerfällt, die hammergefügt so gar nicht zueinander passen wollen. Nicht zuletzt gilt das auch für die Landnahme großer Teile Britanniens durch germanische Stämme im fünften Jahrhundert.
Schaut man nun auf eine der Landkarten, die mit bunten Pfeilen die Stammesverschiebungen der „Völkerwanderungszeit“ wiederzugeben beabsichtigen, drängt sich eine Frage auf: Sind also tatsächlich im Jahre 449 n. Chr. die Angel, Altsachsen und Jüten einträchtig in die Boote gestiegen, mit Mann und Maus gen Westen „gesegelt“ und haben sich in Britannien festgesetzt?
Das Vorspiel
So wie jede reale Geschichte, hat auch die Geschichte der Landnahme ein Vorleben, das sich über einige Jahrhunderte erstreckt. Die antike Geschichtsschreibung weiß darüber folgendes zu berichten:
„…Während er (Kaiser Valentinian) diese Taten mit Vorbedacht ausführte, hatten sich die Sachsen furchtbarer Tollkühnheit hingegeben. Immer unerwartet, stürzten sie sich auf eine Gegend und waren damals in die Gebiete am Meer eingedrungen. Beinahe wären sie reich beladen mit Beute heimgekehrt, doch er vernichtete sie durch eine zwar heimtückische, aber erfolgreiche List und nahm den mit Gewalt überwundenen Räubern die Beute wieder weg.“
Was Ammianus Marcellinus hier über ein Ereignis aus dem Jahre 370 schreibt, ließe sich um eine Vielzahl weiterer Begebenheiten ergänzen. Doch schon lange vor dem vierten Jahrhundert berichteten römische Geschichtsschreiber von den Chauken, die als Seeräuber die Küsten plünderten und Schifffahrtswege heimsuchten.
Dieser germanische Stamm, der in den Mündungsgebieten zwischen Ems und Elbe siedelte, ist als einer der Hauptbestandteile der späteren Altsachsen anzunehmen, die erstmalig von Ptolemaios von Alexandria um das Jahr 160 erwähnt werden. Etwa zu gleicher Zeit verschwinden die Chauken aus der Geschichtsschreibung. Ob es Chauken oder Sachsen waren, ist letztendlich zweitrangig. Aber bereits im zweiten Jahrhundert sah sich die römische Provinzverwaltung gezwungen Verteidigungsmaßnahmen entlang der Kanalküste zu treffen, die dann auch treffend als Litus Saxonicum – „Sächsische Küste“ bezeichnet wurden.
Der Litus Saxonicum
In einem ersten Bauabschnitt wurden die Häfen durch Forts gesichert und britische, küstennahe Städte mit Erdwällen versehen. Dabei handelte es sich um Siedlungen wie London, Colchester, Rochester und Brough-on-Humber. Auf kontinentaler Seite entstanden z.B. die Forts von Aardenburg und Oudenburg und die Flottenbasis von Boulogne wurde befestigt. Schon ab der Mitte des dritten Jahrhunderts war die römische Kanalflotte für die sächsischen Piraten keine unbezwingbare Bedrohung mehr und sie operierten beinahe ungehindert auf den nördlichen Seewegen. So sah man sich gezwungen, das bestehende Verteidigungssystem zu erweitern und weitere Stützpunkte an Flussmündungen zu errichten. Diese neuen Forts weisen große Ähnlichkeiten zu den neu errichteten Befestigungsanlagen (Burgi) entlang des Limes` auf, die in etwa in den gleichen Zeitabschnitt datieren. Die Mauern waren nun höher und dicker, sowie mit vorspringenden Geschützbastionen verstärkt. Die Mannschaftsbesatzung wies häufig aber nur noch einen Bruchteil früherer Belegungsstärke römischer Kastelle auf.
Dieses zahlenmäßig verstärkte System aus Forts, befestigten Häfen und Siedlungen half zumindest nach den innerrömischen Konflikten des dritten Jahrhunderts das Problem einfallender Sachsen einzudämmen, wenn auch nicht zu unterbinden. So sahen sich die Piraten gezwungen, längere Wege zu nehmen und mehrfach sich an Befestigungen und Flottenstützpunkten vorbei stehlen zu müssen. Nicht selten arrangierten sich auch die Römer mit den „Barbaren“ und kauften sich von der Bedrohung frei. Auch nahmen sie ganze Verbände ins eigene Heer auf oder siedelten sie grenznah an. So konnte dieses Verteidigungssystem des Litus Saxonicum immerhin bis zum Ende des vierten Jahrhunderts bestehen und seinen Zweck gegen die Sachsen, den „…schrecklichsten unter den Feinden“ (vermutlich mehr schlecht als recht) erfüllen.
Die Sachsen
Wer aber waren diese Sachsen? Wie oben schon erwähnt, tauchen die Sachsen namentlich im zweiten Jahrhundert auf und manifestieren sich als ein Zusammenschluss verschiedener, kleinerer und größerer Stämme wie die der Chauken, Reudigner, Avionen aber auch der Teile der Angeln und anderer. Sicher führten die erfolgreichen Beutezüge entlang der Kanalküste zu zusätzlichen, wohl zumeist einvernehmlichen Anschlüssen weiterer Stämme. Dabei müssen die dann unter dem Sachsennamen operierenden Germanen federführend bei diesen Piratenangriffen gewesen sein, so dass andere, ebenfalls Seefahrt und Überfälle betreibende Stämme wie Angeln, Jüten, Friesen und Dänen u. a. dahinter zurück traten. Damit wurden die Sachsen regelrecht zum Synonym aller seegestützten Überfälle in der antiken Geschichtsschreibung.
Sicher bildet das alles keinen ausgesprochen friedlichen Hintergrund für die Herleitung des Sachsennamens. Der wird sagenhafter Weise auf den Gebrauch eines Schwertes zurückgeführt. Diese Erklärung hat in der Literatur durch beliebtes Abschreiben der Autoren voneinander Eingang in das allgemeine Gedankengut gefunden.
So würde sich der Stammesname der Sachsen herleiten vom Sax, der bei ihnen und anderen Großstämmen des Frühmittelalters als gefürchtete Waffe üblich war und das kriegerische Symbol ihres Kriegerbundes darstellen sollte. Die Quelle der Überlieferung der Bezeichnung „Schwertgenossen“ fällt allerdings in die Spätzeit der Stammesgeschichte, liegt somit weit entfernt von der Entstehung des Stammesverbandes der Altsachsen.
Hier nun tut sich die Frage auf, nach dem was zuerst da war, Ei oder Huhn. Diesmal jedoch ist die Frage berechtigt. Da die Sachsen namentlich bereits um ca. 160 n. Chr. von Ptolemäus erwähnt wurden, müsste zu diesem Zeitpunkt schon der Sax als Waffe geführt worden sein. Was liegt näher, als dazu das einschneidige Hiebschwert heranzuziehen, das noch im Osten und Norden des freien Germaniens bis zur Mittleren Kaiserzeit im Gebrauch war. Unglücklicherweise unterscheidet sich dieses recht deutlich von dem, was wir gemeinhin als Sax bezeichnen. Die auffallendsten Differenzen erscheinen in der Griffgestaltung und der Form der Klinge. Auch lässt sich die geographische Verbreitung leider nicht auf die Sachsen übertragen. Es gibt auch keinerlei Kontinuität im Gebrauch des einschneidigen Hiebschwertes und der Herausbildung des Sax im fünften Jahrhundert; es fehlen schlicht schlappe 250- 300 Jahre! In genau dieses Loch fallen die Sachsen. Irgendwie betrüblich, denn es hörte sich so gut an…
Einen Lichtblick für Herleitung des Namens aus der Bewaffnung könnte sich aus den frühen Waffenopfern des Thorsberg Moores ergeben, die zeitlich und auch räumlich ansatzweise passen würden. Aber genauso gut könnten sie dann auch Speer- oder Schildgenossen heißen!
Die Schriftquellen
Im Wesentlichen kennen wir für die angelsächsische Landnahme drei historische Schriftquellen, die allerdings mit zunehmender Ereignisferne die Gefahr kopierendem Abschreibens und illustrierendem Ausschmückens bergen. Drei dieser Schriften berichten über Hengest, der auch in der Beowulf- Saga und im Finnsburg- Fragment Erwähnung findet. Dort allerdings in einem anderen Kontext, so dass es nicht sicher ist, inwieweit beide Hengest’ miteinander identisch sind.
Schon um die Mitte des 6. Jh. berichtet der britische Kleriker Gildas von sächsischen Söldnern, die von einem britischen Tyrannen um Waffenhilfe gegen Übergriffe aus dem Norden herbeigerufen wurden. Diese kommen mit „drei Schiffen“ leisten Hilfe und siedeln vertragsgemäß auf der Insel Thanet (dem Gebiet um das heutige Ramsgate). Durch weiteren, vermutlich nicht vertragsgemäßen Zuzug aus dem sächsischen Stammland werden höhere Versorgungsleistungen von den Briten gefordert, die diese nicht erbringen können oder wollen. Das führt zum Aufstand gegen die ehemaligen Verbündeten und zur Verheerung großer Gebiete im Süden der Insel. Interessanterweise berichtet Gildas nichts von einer Siedlungstätigkeit der Sachsen, sondern davon, dass sie nach getaner Zerstörung heimgekehrt wären.
Der Bericht des Kirchenhistorikers Beda „des Ehrwürdigen“ gleicht im Wesentlichen Gildas’ Schilderungen, benennt aber Hengest und seinen Bruder Horsa als erster namentlich. Dazu liefert er für sie gleich noch einen Stammbaum, der bis zu Wodan zurückreichen soll. Beda verdanken wir auch die auf Rückrechnung beruhende Jahreszahl 449 für die Ankunft des Geschwisterpaares. Neu ist bei Beda der Hinweis, dass Horsa später in einer Schlacht gegen die Briten, vermutlich bei Aylesford im Osten von Kent, fiel. Dort wurde ihm nach Beda dann ein Denkmal, der „Cairn Horsted“, errichtet. Auch Beda berichtet nichts über eine Landnahme der Sachsen. Das obwohl zu diesem Zeitpunkt, zum Beginn des achten Jahrhunderts, schon weite Teile des Landes auch für ihn offensichtlich dauerhaft von „Heiden“ besiedelt waren.
Die ehemals dem Nennius, einem walisischen Geschichtsschreiber, zugewiesene Historia Brittonum vom Anfang des neunten Jahrhunderts stimmt in vielem mit Gildas’ Beschreibungen überein. Sie scheint auf früheren Schriften und Überlieferungen zu basieren, die wiederholt abgeschrieben, ergänzt und modifiziert wurden, so dass ihr historischer Wert mehr als umstritten ist. Deshalb wird sie heute nicht als eigenständige Quelle betrachtet. Bemerkenswert ist jedoch der erstmalige Hinweis auf die Vereinbarung zwischen Vortigern und Hengest, die Tochter des Sachsen zur Frau im Gegenzug für Siedlungsland zu erhalten. Weiterhin wird berichtet, die Sachsen hätten im Nachgang während der Friedensverhandlungen 300 britische Adlige heimtückisch mit ihren verborgen getragenen, langen Messern getötet. Da eine ähnliche Geschichte von Widukind von Corvey über einen Zwist mit den Thüringern erwähnt wird, mag der Kern der Überlieferung stimmen. Nicht sicher ist, ob er sich nun auf Briten oder Thüringer bezieht. Auch die Erwähnung der langen Messer scheint sich auf ein späteres Ereignis zu beziehen, und würde somit eher auf eine Rückprojektion des Ereignisses schließen lassen. Was die die Historia Brittonum noch interessant gestaltet ist, dass sie eine der frühesten Erwähnungen des legendären Artus und seiner gegen die Sachsen geschlagenen Schlachten beinhaltet.
Die Angelsächsische Chronik, als dritte Quelle vom Ende des neunten Jahrhunderts, folgt Beda, bereichert die Überlieferung nun ihrerseits aber um viele zusätzliche Details geschlagener Schlachten und beteiligter Personen. So wird ebenfalls die Ankunft von Hengist und Horsa ins Jahr 449 datiert. Im Jahr 455 wendeten sie sich dann gegen Vortigern und Horsa fällt in einer Schlacht bei Egelsthrep. Wie bei Gildas werden die ursprünglichen Bewohner getötet oder vertrieben; hier werden nun sogar 4000 Opfer gezählt. Wenig logisch klingen die für die angelsächsischen Anführer überlieferten britischen Namen und Herleitungen von Ortsnamen.
Archäologische Zeugnisse
Lange Zeit fiel der Archäologie in Bezug auf die Landnahme nur eine illustrierende Rolle zu, die sich gefälligst der Geschichtsschreibung unterzuordnen hatte. Dies machte schon bald eine große Diskrepanz zwischen der überlieferten Datierung der Ereignisse und dem archäologischen Fundgut deutlich, das einen entschieden früheren Ansatz nahe legte. Aber nicht nur dies, auch der bis dato favorisierte Ablauf der Ereignisse wurde ganz erheblich in Frage gestellt. Während ziviles Fundgut und spätrömische Militaria aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts noch recht flächendeckend über das gesamte britische Flachland verteilt ist, wandelt sich das Bild zum Beginn des 5. Jahrhunderts ganz erheblich.
Die frühesten Anzeichen für eine ortsfremde und raumgreifende Siedlungstätigkeit bilden die Keramikfunde, die allgemein als „angelsächsisch“ angesprochen werden. Dabei scheinen aber anglische Gefäßformen ihren Schwerpunkt im Norden und Nordosten, also im heutigen Norfolk, Suffolk und Cambridgeshire zu haben. Sächsische Keramik findet sich wiederum verstärkt entlang des Themsetals und im Süden.
Die um 400 n. Chr. kontinental aufkommenden einfachen Tierkopfgürtelgarnituren finden ebenfalls längs der Themse ihre Hauptverbreitung und können somit in die ersten Jahrzehnte des 5. Jahrhunderts datiert werden. Andere metallische Fundobjekte, wie z. B. frühe kreuzförmige Fibeln, die auf dem Kontinent hauptsächlich nördlich der Unterelbe angetroffen werden, finden sich in der Landschaft Ostangliens. Chronologisch fortschreitend bilden die Pferdekopfschnallen mit langrechteckigem, schmalem Beschläg noch vor der Mitte des 5. Jahrhunderts eine Sondergruppe, für die es auf dem Kontinent keine Parallelen gibt. Sie wurden mit einer bis dahin andauernden, römischen Militärpräsenz auf der Insel in Verbindung gebracht. Das erscheint mehr als fraglich, da der Abzug der Truppen im Jahre 407 doch recht umfassend gewesen sein muss. Außerdem wurden immerhin drei dieser Schnallen in angelsächsischen Frauengräbern gefunden. Ab der Mitte des 5. Jahrhunderts erscheinen an der Südküste und Themsemündung Gürtelschnallen im so genannten Quoit- Brooch- Stil, einer spätantiken Verzierungsart die sich vor allem auf Schnallen und Scheibenfibeln wieder- findet.
Die hier aufgeführten Beispiele sind keineswegs umfassend, sondern wurden vereinfacht und auf die signifikanten Fundgruppen beschränkt, um daraus Schlussfolgerungen und logische Handlungsstränge ableiten zu können.
Hypothetischer Ablauf
Versucht man nun, auf sinnvolle Weise die archäologischen Funde, antike Geschichtsschreibung und angelsächsische Schriftquellen zusammenzubringen, könnte sich daraus folgender Ablauf rekonstruieren lassen:
Bereits im Jahr 368 erfolgt ein Hilferuf der Briten, der durch den Comes der Sächsischen Küste erhört wurde und mit der Vernichtung einer sächsischen Flotte endete.
Im Jahr 398 erreicht den römischen Kaiser ein 2. Hilferuf der Briten, der vermutlich von Stilicho mit Entsatz beantwortet wurde.
Vandalen, Alanen und Sueben fallen 406 in Gallien ein, lassen dort einen Großteil der militärischen Verteidigung zusammenbrechen und isolieren die Küstenverteidigung der Kanalküste, die in Nordgallien zu einem erheblichen Anteil bereits aus romanisierten Sachsen und anderen germanischen Stammesangehörigen bestand.
Um der Bedrohung durch die Vandalen noch im Vorfeld der Insel begegnen zu können, zieht der Usurpator Constantin III. die römischen Truppen im Jahr 407 auf der Insel zusammen und von ihr ab. Sie ziehen 408 den plündernden Stammesverbänden hinterher und werden durch diese gebunden. Damit ist die Insel weitestgehend schutzlos.
Noch in diesem Jahr erfolgt ein weiterer, schwerer Einfall der „Sachsen“. Dabei handelt es sich diesmal jedoch in der Mehrzahl um Angeln und nordalbingische, nicht romanisierte Sachsen. Nach anfänglichen Verheerungen können diese aber mit vereinten Kräften der britischen Milizen und den Resten der Verteidiger der Kanalküste niedergeworfen werden. Die überlebenden Invasoren werde aber nicht ausgemerzt, sondern wie anderswo auch üblich, unterworfen und mit einem Bündnisversprechen des militärischen Beistandes im Gebiet nördlich von Londinium und südlich des Wash, dem späteren Ostanglien, angesiedelt. Im weiteren Verlauf erfährt dieses Gebiet verstärkten Zuzug vom Kontinent, sei es vorerst geduldet oder ignoriert.
409 vertreiben die Briten die verblieben, römischen Beamten, da sie offensichtlich nicht in der Lage sind, die versprochenen Unterstützungen gegen weitere, kriegerische Einfälle zu gewähren.
Entweder gibt es im Jahre 410 erneute Einfälle von Sachsen, Angeln und Picten oder aber die angesiedelten Angeln breiten sich verstärkt aus. Jedenfalls sieht sich die Bürgerschaft von Londinium gezwungen, ein 3. Hilfegesuch gen Süden zu senden, welches Honorius ablehnt mit dem Hinweis, dass sie sich nun gefälligst selbst zu helfen hätten. Das ist nach der Vertreibung der römischen Beamten sicher nicht weiter verwunderlich; außerdem treiben ihn zu dem Zeitpunkt ganz andere Probleme um.
Procopius berichtet, dass von 411 an, das Land von Tyrannen regiert wurde. Damit meint er sicher lokale, britische Größen wie z. B. Vortigern (oder wie er auch immer geheißen haben mag). Dieser sah sich nun zu einem politischen Drahtseilakt genötigt und lud sich „Freunde“ ein. Diese fand er z. B. in den ehemaligen romanisierten, sächsischen Söldnern entlang der nordgallischen Kanalküste. Sie waren nach der Katastrophe von 406 vermutlich isoliert, gelangweilt und erwerbslos und nur allzu gern bereit, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen. Ob dabei auch die oströmische Politikwende von 402, die eine erhöhte „Barbarenfeindlichkeit“ in Führungspositionen zur Folge hatte, eine Rolle spielte, sei dahingestellt. Jedenfalls schien kein Mangel an militärischen Arbeitskräften zu bestehen.
So ließen sie sich nicht lange bitten und ruderten mit ganz gewiss mehr als drei Booten über den Kanal. Die romanisierten Sachsen wurden als Foederaten an der Themse flussauf angesiedelt bzw. sie bildeten dort Verteidigungsknotenpunkte gegen die sich ausbreitenden Angeln und plündernden Picten. Sie verrichteten ihren Job jedenfalls so gut, dass man für lange Zeit nichts mehr von den Picten hört und auch die anglischen Artefakte sind darüber hinaus nur selten. Dieser relativ sichere Status Quo währte immerhin ca. eine Generation, führte zu weiterem sächsischen Zuzug (Nun auch aus dem ursprünglichen sächsischen Stammesgebiet zwischen Elbe- und Wesermündung, da der Kontakt nie ganz abgerissen ist?).
Bemerkenswert ist in dieser Zeit die Entstehung der Pferdekopfschnallen mit schmalem Beschläg als vermutlich weiblicher, sächsischer Trachtbestandteil auf der Insel. Tierkopfschnallen blieben im Allgemeinen dem Militär vorbehalten. Da es aber auf der Insel keine römische Militärverwaltung mehr gab, wurde dieses Übergreifen des Militärtrachtbestandteiles auf die Frauen der Söldner sicher begünstigt. Es betont die Sonderstellung einer Art Kriegerkaste, die sich von den britischen Zivilisten abhob. Aber immerhin ging deren Einfluss doch soweit, dass sich auf dem Beschläg dieser Pferdekopfschnallen christliche Symbolik wieder findet. Es erscheint z. B. in Form zweier Pfauen und kreuzförmiger Ornamente. Vielleicht muss hier doch schon die Gretchenfrage gestellt und das prinzipielle Heidentum der Altsachsen hinterfragt werden?
Um 440 kommt es zum Foederatenaufstand, da sich die Briten nicht mehr in der Lage sehen, die vereinbarten Versorgungsleistungen zu erbringen. Somit wenden sich die Sachsen gegen die ehemals Schutzbefohlenen, verwüsten große Gebiete im Süden des Landes und beginnen sich weiter auszubreiten.
Was nun kommt, lässt sich nur schwer belegen. Vermutlich haben die Briten noch einmal zur gleichen Medizin gegriffen und versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Also organisierten sie sich „Hilfe“ und holten die Jüten ins Land. An diese teilten sie vielleicht als eine Art Gastgeschenk die Gürtel mit Schnallen im Quoit- Brooch- Stil aus.
Die Jüten verhinderten eine weitere sächsische Ausdehnung nach Süden, da sie sich um die Insel Wight und in Kent festsetzten, wo sie auch bald darauf (um 460) das erste germanische Königreich auf der britischen Insel errichteten. Natürlich nicht ohne vorher die Briten kräftig aufs Haupt geschlagen zu haben…
Wo bleiben Hengest und Horsa?
So es sie tatsächlich gegeben hat, wofür zumindest einige Indizien sprechen, sind sie doch wohl eher einer der späteren Eroberungswellen zuzuordnen. Dies begründet sich außer im überlieferten Siedlungsgebiet noch in dem Hinweis auf das früheste germanische Königreich auf britischem Boden. Sie wären am Ehesten den Jüten zugehörig anzusehen und damit würde sogar das von Beda errechnete Datum 449 für die Ankunft wieder in glaubhaftere Reichweite rücken.
Mit ziemlicher Sicherheit sind sie nicht mit drei Schiffen angekommen. Im Original heißt es auf drei „Kielen“. Vielleicht in drei Kiellinien, was eine Flotte assoziieren würde. Die Dreiheit begründet beinahe jeden germanischen Herkunftsmythos und sollte nicht überbewertet werden. Auf die wahren Flottengrößen lässt sich schließen, wenn man die als Votivgabe gedachten, ca. 100 Goldschiffchen aus einem Moor bei Nørs in Dänemark zu Rate zieht. Die Schiffe müssen zwar nicht alle zwingend so groß wie das Nydamboot gewesen sein, aber 10-20 Personen pro Boot kann man sicher ansetzen.
Verschiedene, Hengest und Horsa zugeschrieben Taten und Ereignisse, können sich durchaus aus unterschiedlichen Landnahmewellen und Stammesverbänden begründen. Die Geschichtsschreibung legt so etwas gern zusammen und komprimiert die Handlung, um bestehende Zustände besser erklären oder illustrieren zu können.
Ob nun Hengest und Horsa reale Namen wirklicher Personen sind oder nur den militärischen Rang germanischer Führer beschreiben, so spiegeln sie sich doch heute noch in den nach außen gewendeten Giebelpferden mancher niedersächsischer Dächer wieder und verweisen auf eine lange, germanische Tradition.
© artaes, Markus Gruner
Ausgewählte Quellen und weiterführende Literatur
– „Sachsen und Angelsachsen“, Hsg. Prof. Dr. Claus Ahrens, Ausstellungskatalog des Helms- Museums 1978
– „Das Ende der Römerherrschaft in Britannien und die angelsächsische Besiedlung Englands im 5. Jahrhundert“, Horst Wolfgang Böhme
– „Die Landnahmen der Angelsachsen, der Wikinger und der Normannen in England“ Christian Uebach, Tectum Verlag 2003
– „Siedler, Söldner und Piraten“, Dieter Bischop, Bremer Archäologische Blätter 2/200
– „Archäologie der Angelsachsen“, Torsten Capelle, WBG 1990