Urlaub ohne Steine oder eine Reise minus Wiederkehr? (ins Ungewisse)

Da saß ich nun im Flieger nach Neapel, neben mir, jenseits des Mittelganges zwei Portogiesen, einer sich beim Start heftig bekreuzigend, hinter mir zwei junge Italienerinnen mit Atemschutzmasken. Sprach die eine, fuhr sie mit den Zeigefingern links und rechts unter die Gummis der Maske und zog sie ein Stück vom Gesicht ab. Die andere beugte sich zum Hören nahe zu ihr, um auch ja alles aufzuschnappen.

Wie war es nur soweit gekommen? Hatte ich nicht alles versucht, den Urlaub in Italien noch zu vermeiden? Spätestens nach dem Ansteigen der Fallzahlen und dem Schließen aller archäologischen Stätten im ganzen Land, hatte sich meine Lust auf Bella Italia in den Keller verabschiedet. Ich schaute mich um im Flieger; vielleicht ein Viertel hatten es auch nicht geschafft, so wie ich saßen sie zwischen leeren Plätzen. Für einen Flug mit Ryanair- bemerkenswert! So saß ich mal Gang, Mitte oder Fenster, ohne dass sich meine Laune besserte.

Noch am Morgen persönlich im Reisebüro und später telefonisch hatte ich versucht, mein Schicksal abzuwenden, doch weder eine faire Stornierung, noch eine Umbuchung auf einen späteren Zeitpunkt wurden mir vom Veranstalter eingeräumt. „Ich hab den Urlaub nicht gewollt…“ kam mir von TRIO in den Sinn und schon war ich auf dem Weg in ein Krisengebiet.

Die Stewardess hatte ich mit meiner Englischlektüre auf eine falsche Fährte gelockt und so nuschelte sie mich nun bezüglich der Notausstiege in etwas an, das sie wohl für Englisch hielt. Ich nickte pflichtschuldig an den Stellen, an denen sie Pause machte. Ihr Namensschild verriet, dass sie vermutlich aus Norddeutschland stammt, aber warum einfach?

Sie schwebte davon und begann abwechselnd mit dem leicht kugelbäuchigen Steward ihre kostenpflichtigen Häppchen anzupreisen. Von den unbedingt empfehlenswerten Truthahn-sandwiches existierte tatsächlich nur ein Exemplar, frisch von der roten Liste bedrohter Snacks!

Der Flieger schob sich langsam aufs Rollfeld, leider entpuppte sich, was ich anfangs für Triebwerksabgase hielt dann doch als Männerschweiß. Eine Wendung in die Startposition wirbelte die Sandwichauktion durcheinander und verschaffte eine Ruhepause; sie ordneten sich wieder, kontrollierten die Gurte der Passagiere; wir hoben steil ab und über der Zuckerwatte war nur noch Sonne.

Und schon begann es wieder: Parfüm, Spirituosen, Schmuck …wer zum Teufel kauft den Kram? Ist ja schlimmer als im Kino vor dem Hauptfilm! Kaum angedroht, schon schob mein norddeutsches Ryanairmädel den Rollator mit den unverzichtbaren Notwendigkeiten durch den schmalen Gang; hinter sich drei Reisende aufhaltend. Die rollten mit den Augen, was auf dringliche Bedürfnisse schließen ließ, deren Verrichtung sie sich gerade unüberwindbar behindert sahen. Sie schaffte zwei Meter fünfzig; schon hing sie fest. Ach, das Zeug kauft tatsächlich jemand! …und ich hatte schon die Hoffnung, sie würde ihr peinliches Unterfangen aufgeben. Von weiter hinten spricht sie ein zu kurz gekommener Brat Pitt Imitator an; sie grabscht etwas aus dem Duty Free Sortiment, tänzelt zurück in jeder Hand etwas; Parfüm oder Dosensuppe, ich konnte es nicht unterscheiden.

Ich hing kurz meinen Gedanken nach, stellte mir einen alternativen Montag vor, ohne Ryanair- Flug in ein Krisengebiet….seufz. Rumms! Die Schubkarre mit dem Krimskrams rammte meine Sitzreihe und holte mich in die Realität zurück.

Mittlerweile waren wir im Sinkflug; es machte „bling“ und forderte zum Anschnallen auf. Die Lichter von Neapel breiteten sich wie ein orangenes Lichtergewusel am Fuße des Vesuvs aus, der nur dunkel schattenhaft zu erahnen war. Ein weiteres, unsanftes „Rumms“ verhieß, dass wir aufgesetzt hatten. Nun ja, es war ja dunkel…Die Maschine rollte aus und ich wollte es nicht glauben – es wurde geklatscht! Ach nööööö, ist euch denn gar nichts peinlich? Ich klatsch doch auch nicht, wenn der Bus planmäßig die nächste Haltestelle ansteuert! Ich meine, ich wüsste davon, wenn nur jeder 3. Ryanairflieger sein Ziel erreichen würde.

Im Terminal erwartete uns schon ein gutes halbes Dutzend vom Bodenpersonal, alle mit Mundschutz, Signalwesten, manche mit Schutzbrille …Zombieapokalypse? Nun gut, keiner trug eine Armbrust oder stacheldrahtumwickelten Baseballschläger; ich war vorerst beruhigt. Doch nun griffen die Vermummten sporadisch eine oder den anderen aus der ankommenden Menge und hielten ihnen etwas Pistolenartiges an die Stirn. Erleichtert stellte ich fest, dass es sich nur um ein elektronisches Thermometer handelte; andere verteilten Flugblätter, zweisprachig, zum Verhalten bei verdächtigen Symptomen – na immerhin!

Mein Koffer lag schon mit nur sechs anderen auf einem angehaltenen Gepäckband, so dass ich ihn fast übersah, da ich nicht glaubte, er könne schon da sein. Alle anderen hatten sämtliches mit in den Flieger geschleppt.

Raus in das abendliche Neapel, ein laues Lüftchen, der Koffer holpert über Betonrillen. Wohin? Alibus! Schilder, Pfeile, Hinweise, nach nur 100m hatte ich den Kontakt verloren. „Neapel sehen und sterben!“ …doch dafür war es noch zu früh rsp. zu spät weil dunkel. Also wieder rein ins Terminal. Hinter einer doppelten Absperrung saß auf 2m Distanz eine hübsche Flughafeninfotainerin – ja, ja ich war schon richtig, eine vage Geste in die Richtung aus der ich kam und schon rumpelte ich wieder zurück. Diesmal sah ich Hinweise, die mir beim ersten Versuch entgangen waren. Und da stand er, Alibus, bezahlen beim Fahrer, wieder raus einsteigen hinten. Enge, Mundschutz, manche mehrere übereinander, Handschuhe, Gummi, Leder…Einer mit goldenen Schuhen, modisch aber mit Vollschutz. Viele in Schwarz, so wie italienische Frauen es mögen; bald würde es wohl Masken mit Strassbesatz geben!

Piazza Garibaldi, raus. Bahnhof. Irgendwie wie bei uns, aber wo krieg ich ein Ticket her? Aha, Nummer ziehen, wie auf der Meldestelle bei uns. Bürokratismus schafft Heimeligkeit. Warten, warten und dann doch falsch…falsche Beförderungsgesellschafft. Koffer hüpft mit mir die Treppen runter zum tiefer gelegten Bahnhof des Circum Vesuviana. Endlose Röhre mit Geschäften, gefragt, noch richtig und weiter geht’s. Schalterbereich links um die Ecke. „Oh heiliges Ticket!“….aber wo rein damit? Versuche alles, was so aussieht, als könne es einen Fahrschein verarbeiten. Überall falsch. Peinlich! Die Dame kann es nicht mehr mit ansehen, kommt aus ihrem Glaskasten, versucht es selbst …beim dritten Mal erfolgreich! Bedanke mich artig, die Öffnungsbügel der Schranke lassen mich passieren. Durch, Treppe runter zum Bahnsteig.

Die Bahn kommt…in etwa auch so pünktlich wie bei uns. Mäßig besetzt, einige müde, verbraucht von der Arbeit, unvermummt, andere mit. Besser, ich zähle die Stationen, nur manchmal sind die Namen sichtbar in großen Lettern angebracht. Bei Ercolano- Scavi klammere ich mich an die Haltestange und drücke den Knopf. „Ob die schon jemals desinfiziert wurden?“ Schießt es mir durch den Kopf. Was soll‘s! Bahnhofsgebäude, Treppe runter, raus auf die Straße – dunkel. Ok, Route berechnen lassen. Netz weg. Dann los, der Nase nach die Straße runter. Kann nicht weit sein; mein Koffer scheint den Weg zu kennen. Holterdiepolter ein paar Querstraßen; Corso Resina hier muss es sein! Ups, schon zu weit. Aber wieso, da war doch nix? Die Läden sind nach 21 Uhr alle noch auf, rein in ein‘ und gefragt. Der Verkäufer grinst und deutet mit dem Daumen nach nebenan; da war ich schon bzw. stand davor. Eingang unscheinbar, drei Stufen hoch, Tür auf: „Buonasera!“ Kleiner, unscheinbarer Empfangsraum; ich hatte es mir größer vorgestellt. Hinter dem Tresen Vincense, ein Mittdreißiger, modisch und schien mich schon zu erwarten. Anmeldung, Schlüssel und schon führte er mich aufs Zimmer. Stilvoll eingerichtet, wenn man breite blaue Balken als Tapete mag, mit vier Betten – ich würde jede Nacht in einem anderen schlafen können! Zu müde zum Ausgehen, streckte ich mich auf dem Bett aus. Ein paar Schlucke aus dem Whisky Flachmann vom Dutyfree, dazu einige Kekse- fertig ist das Nachtmahl! Bevor ich zum italienischen Fernsehabendprogramm gänzlich wegnicke, krieche ich unter die Laken; selbst die über das Kopfsteinpflaster sägenden Vespas können meinem traumlosen Schlaf nichts anhaben.

Wenig los am Morgen im Gastraum des Frühstücksbuffet, doch liebevoll gedeckt und reichlich Auswahl. Ich setze mich an einen Balkon mit Blick auf den Eingang zur Ausgrabungsstätte Herculaneum. Es könnte so schön sein: Kaffee, Sonne und die Erwartung auf die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Noch am Abend zuvor hatte mir Vincense Hoffnung gemacht, dass die lokalen Behörden von Tag zu Tag über die Öffnung der archäologischen Stätten entscheiden würden. Nico, der neue Mann am Tresen, zog mir am Morgen den Zahn, denn über Nacht war alles vorbei: Schließung der kulturellen Stätten landesweit! Seufz…so dicht davor. Ein letzter Blick über das Eingangsportal flankiert von Pinien; weit dahinter stößt der Golf von Neapel an das diesige Blau des wolkenbereinigten Himmels. Nun, hilft ja nix. Ich schnappe mir die Kamera und ziehe los. Mal sehen, wie weit ich komme. Richtung Vesuv, obwohl der auch zu hat. Nun, besser gesagt der Nationalpark und Touren werden auch nicht mehr angeboten.

Italienreise

Doch zuerst umrunde ich einmal die komplette Ausgrabungsstätte, schieße durchs Gitter mit dem Tele einige Bilder. Näher würde ich nicht rankommen. Am Haupteingang arbeitet ein Monteur am Rolltor, so dass der Zugang offen ist. Als ich mich nähere, wedelt er erschreckt mit den Armen, also unterdrücke ich meine ursprüngliche Absicht ihn anzusprechen und ihm ein paar kleine Scheine anzubieten, wenn er mich für einen „Kurzbesuch“ durchschlüpfen ließe. Ich ziehe weiter, lasse das weit tiefer liegende Grabungsareal zurück und sehe schon das Wasser vor mir. Abgesperrt mit Maschendraht und verbaut mit großen Lavablöcken gibt das Ufer nichts her; ich steige über Plastemüll und Hundekot. Nun, es ist erst März und in der Saison würde es wohl aufgeräumter aussehen, hoffte ich. Einer der Verursacher, ein braunweißer Mischling, lag an ein bröckliges Mäuerchen geschmiegt, blinzelte in die Vormittagssonne und beachtete mich nicht weiter.

Zurück schlage ich einen Bogen durch die Stadt und frequentiere kurz nochmals das Hotel um einiges abzulegen; es ist schon warm und wird noch wärmer. Nico hält mich auf dem Laufenden: Gaststätten und ähnliches müssen 18 Uhr schließen und die Tische auf Abstand stellen. Ok, denke ich mir, richte ich mich auf ein frühes Abendessen ein.

© artaes, Markus Gruner